Hoffen auf mehr

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Liebe Freunde und Freundinnen von OpenSquare

In New York ist ab Februar 2025 «Jaywalking» offiziell wieder erlaubt. Die Demokratin Mercedes Narciss, die Initiantin der Gesetzesänderung, sagt dazu: «Regelungen, die das normale Verhalten bei alltäglichen Dingen bestrafen, soll es nicht geben. Wir müssen realistisch sein: jeder New Yorker ist ein Jaywalker.» Gemeint sind Personen, die bei starkem Verkehr unkontrolliert, auch gerne neben den Fussgängerstreifen und selbst bei Rot über die Strassen gehen.

In den USA wie auch anderswo galten anfangs der 1920er Jahren die Strassen noch den Fussgängern, sie waren uneingeschränkter öffentlicher Raum, ein Ort der Begegnung, Strassenverkäufer legten ihre Ware aus, Kinder spielten. Es gab zwar Kutschen, aber die waren träge und langsam. Dann kamen die Autos, die fuhren schneller und waren deshalb für die Fussgänger gefährlicher und mit ihnen stiegen die Verkehrstoten. Die Öffentlichkeit war empört. Schuld an den Unfällen hatten für sie einzig die Autofahrer. Schon bald wurden die Autos als tötende Monster beschimpft. Im November 1924, also genau vor 100 Jahren schreibt die «New York Times» auf der Frontseite: «Die Nation wendet sich gegen Motormorde» und über dem Titel prangte eine Zeichnung mit einem überdimensionierten Auto, das Menschen auf der Strasse überfährt, hinter dem Steuer ein Totenkopf.

Aber wie wir heute wissen, war die Verbreitung des Autos nicht mehr aufzuhalten und schon Mitte der 1920er Jahren, als das Autofahren im Kanton Graubünden noch verboten war, waren die Strassen von New Yorks Stadtteil Manhattan voll davon. Wegen des schlechten Images des Autos musste die damals erstarkende Autolobby politisch aktiv werden und verfolgte dabei eine Doppelstrategie: Zum einen forderte sie nicht etwa den Autoverkehr, sondern die Fussgänger einzuschränken, in dem man in den Städten immer mehr Fussgängerstreifen und Ampeln einrichtete. Zum anderen machten sie sich lustig über diejenigen Fussgänger, die sich nicht an die neuen Verkehrsregeln hielten, die «Jaywalker». Das Wort «jay« bedeutete soviel wie «Bauerntrottel» oder «Hinterwäldler», ein Mensch der nicht weiss, wie man sich in einer Stadt benimmt.

In der wunderbaren Geschichte, die in der NZZ am 7. November 2024 unter dem Titel: «New York gibt den Fussgängern Ihre Freiheit zurück» publiziert wurde, schreibt die Autorin Corina Gall, dass das neue Gesetz es Fussgängern erlaubt, eine Strasse an jeder Stelle zu überqueren: neben Fussgängerstreifen und auf Fussgängerstreifen, selbst wenn die Ampel rot ist. Die einzige Einschränkung: Passanten haben ausserhalb von Fussgängerstreifen keinen Vortritt. Vielleicht dürfen auch wir so kurz vor Weihnachten hoffen. Schon vor zwei Jahren forderte der Baudirektor des Kantons Zürich Martin Neukom einen Paradigmenwechsel von einem verkehrsorientierten zu einem siedlungsorientierten Strassenbau und noch konkreter forderte der Städteverband, dem 130 Städte und Gemeinden der ganzen Schweiz angehören, in einem Positionspapier, künftig auf allen Strassen im Schweizerischen Siedlungsgebiet Tempo 30 einzuführen, explizit auch auf Hauptstrassen. Das wäre ein Schritt zur Renaissance der Strasse als öffentlicher Raum.

Ich wünsche Ihnen schöne Festtage und alles Gute fürs neue Jahr.

Thomas Schregenberger

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