Gemordete Stadt und verordnete Gemütlichkeit

Gemordete Stadt und verordnete Gemütlichkeit

Liebe Freunde und Freundinnen von OpenSquare

Beim Durchstöbern des Bücherregals in der elterlichen Wohnung in den Weihnachtsferien, stiess ich mal wieder auf zwei „Klassiker“ der Vorwende-Zeit West-Berlins.

1964 erschien das Buch „Die gemordete Stadt“, herausgegeben von Wolf Jobst Siedler und Elisabeth Niggemeyer. Genau 20 Jahre später, 1985, erschien „Die verordnete Gemütlichkeit – der gemordeten Stadt II. Teil“. Beide Bücher sind Fotobände über Berlin, sie erzählen mit Bildern und mit kleinen Essays und Zitaten dokumentarisch von den öffentlichen Räumen der Stadt und deren Aneignung und vor allem auch von deren Verschwinden.

Anhand von verschiedenen Unterthemen beschäftigen sich die Bücher mit den Schnittstellen von Privatem und Öffentlichem, also z.B. mit Türen, Fenstern und Balkonen oder aber mit der Gestaltung und Möblierung der öffentlichen Räume durch Bäume, Bänke, Strassenlaternen, Reklame und anderes.

Mit viel Liebe zum Detail und Ironie werden die Folgen von Bauverordnungen früherer und neuerer Zeit aufgezeigt. Auch wenn zur Zeit Zilles, also des sogenannten „alten Berlins“ um die Jahrhundertwende, nicht alles rosig war und durchaus nicht verherrlicht werden soll, so zeigt das Buch doch augenfällig, was durch den modernen Städtebau der Nachkriegszeit an öffentlichem Leben verloren gegangen ist, bzw ins Private verlegt wurde. Plätze wurden ersetzt durch breite Strassen, Bäume durch pflegeleichten Rasen mit Blumenrabatten, Gaskandelaber durch heller leuchtende Peitschenleuchten, kleine Läden in den Wohngebieten durch konzentrierte Einkaufsstrassen in Fussgängerzonen etc.

In den 60er Jahren, der Ära des Fortschrittglaubens und des Wirtschaftswachstums, das Vergangene zu preisen, war nicht in Mode und damit seiner Zeit voraus.

In den 80er Jahren hingegen, in der Zeit, in der der zweite Band entstand, kam Kritik an der modernen Stadtplanung und eine Rückbesinnung auf die Qualitäten der historischen Stadtfiguren auf, in Berlin z.B. mit der „IBA alt“, sowie verschiedenen Bürgerbewegungen. Hier gab es z.B. 1980 eine „Riesenblockinitiative“ in Berlin Kreuzberg, die sich nicht viel vom heutigen, vielgepriesenen „Superblock“ unterscheidet. Mit dem Unterschied, dass dies damals von den Bewohnenden ausging und es heute von oben verordnet wird.

Zitat aus dem 2. Band:

„….Tatsächlich ist es das Provinzielle, das das Metropolhafte heute überall ablöst….Man möchte die Stadt des alten Europas, aber man möchte sie ohne all das, was diese Stadt ausgemacht hat- das belebte Chaos, das unreglementierte Leben, die schmutzige Unordnung, das unansehnliche Grau.

So führt man Schutzzonen auf, die Kindern, Greisen und Rabatten vorbehalten sind, Oasen der Unwirklichkeit, in denen gewiesen wird, wo man zu spielen, zu kaufen und zu ruhen hat. Um das unordentliche Leben abzuwehren, werden dann Blumenkübel auf die Strasse gestellt, die dem unerwünschten Verkehr den Charakter einer Schnitzeljagd geben und staatlich geprüftes Gestänge hält die Kinder an, am vorgeschriebenen Ort zu hangeln. Es ist eine Verniedlichung des Urbanen, die bereits manchen Stadtteilen den Anstrich eines Kinderzimmers gibt….“

Das Buch von 1985 erscheint zwar optisch aus heutiger Sicht genauso verstaubt und altmodisch wie das von 1964, aber die Themen vor allem des 2. Teils haben dennoch nichts an Aktualität eingebüsst. Die beiden Bücher sind kritische, humorvolle und ironische Zeitzeugnisse, die zum Schmunzeln anregen und zum kritischen Hinterfragen, was gutgemeinte Planung aus unseren öffentlichen Räumen macht und ob nicht manchmal weniger mehr wäre.

Wir von opensquare wünschen Ihnen, dass trotz aller Ernsthaftigkeit der Humor nicht verloren geht.

Sandra König

OpenSquare

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