Raum für alle
Liebe Freunde und Freundinnen von OpenSquare
«Es gehört zu den Dingen im Leben, die man nicht sieht, wenn man nichts davon weiss». So beginnt ein Artikel im letzten «Surprise», dem Strassenmagazin gegen Armut und Ausgrenzung zum Thema «Raum für alle». Unter dem Titel «Die Unerwünschten» beschreibt der Autor Klaus Petrus die in Städten verbreitete sogenannte «Defensive Architektur», womit bauliche Massnahmen gemeint sind, um sich gegen alles (angeblich) Feindliche zu verteidigen.
Bereits in den 1970er Jahren wurden in New York und kurz darauf in vielen anderen Grossstädten Sitzbänke so gestaltet, dass Menschen, die auf der Strasse leben, Randständige, Obdachlose oder Drogensüchtige, nicht darauf schlafen konnten. Weitere Massnahmen kamen über die Jahre hinzu: Metallstifte auf Fensterbänken, damit man sich nicht hinsetzen kann, schräge Abdeckungen von Lüftungsschächten, dass man sich nicht darauf niederlassen und von der Abwärme profitieren kann, Dauerbeleuchtung in geschützten Winkeln und Sprinkleranlagen die nachts um 2 Uhr starten. Auch Massnahmen «gegen» Jugendliche sind verbreitet: Metallkugeln an Kanten und Treppen, um das Skaten zu verhindern, Ultraschallgeräte an Geschäftseingängen und Unterführungen, deren Frequenz vor allem für junge Ohren unerträglich sind und natürlich der traditionelle Kübel Wasser vom Balkon.
Ist der öffentliche Raum denn «Raum für alle»? Wenn man an einem milden Sommerabend durch die Zentren der Städte geht, könnte der Kontrast zum oben Beschriebenen kaum grösser sein: Selbstsichere, aktive, meist junge und gutaussehende Menschen amüsieren sich in den Aussenbereichen von Cafes, Restaurants oder Bars. Es ist ein Kommen und Gehen im öffentlichen Raum, ein Sehen und Gesehen werden, aber nur unter Freunden und Gleichgesinnten, wer nicht konsumieren kann, ist davon ausgeschlossen. Willkommen sind diejenigen, die in den Läden einkaufen und die Lokale frequentieren.
Wenn wir heute vom «Tag des öffentlichen Raums» sprechen, dann meinen wir den «öffentlichen Raum für alle». Er soll ein Abbild unserer Gesellschaft sein. Dazu gehören auch die Anderen. Die Randständigen und Ausgegrenzten, die Obdachlosen und Drogensüchtigen, die Spinner, die Ausgebüxten und die Paradiesvögel und alle, die nicht so sein wollen oder sind wie wir: Kinder und Jugendliche, Einsame und Alte. Dieses «alle» ist nicht ein Akt der Mitleids oder der Barmherzigkeit, sondern der Glaube an die Vielfalt und die Offenheit dafür: Das Wissen um ihre Kraft und Kreativität. Der öffentliche Raum ist Lebensraum. Er ist Raum der gemeinsamen Gegenwart.
Schönen Sonntag und herzliche Grüsse
Thomas Schregenberger
OpenSquare