Definitiv kein Weihnachtsmärchen
Liebe Freundinnen und Freunde von OpenSquare
Peter Bichsel nannte den Stadt-Land-Graben in einem Interview vor vier Jahren einen alten schweizerischen Blödsinn. „Wir haben überall das gleiche schlechte Fernsehen. Die Sehnsüchte eines Appenzell Innerrhoders unterscheiden sich in nichts von den Sehnsüchten eines Stadtzürchers….“. Ein Blick auf die Abstimmungsgrafik zur Mobilitätsinitiative im Kanton Zürich am letzten Abstimmungssonntag im November zeigt ein radikal anderes Bild: Die Städte Winterthur und Zürich als rote „Nein“- Inseln im grünen „Ja“- Meer des Kantons. Zwei Städte auf weiter Flur allein gegen den Rest des Kantons. Mit einer hauchdünnen Mehrheit von einer Stimme hatte der Kantonsrat Zürich im März 2025 gegen den Antrag der vorberatenden Kommission das neue Strassengesetz, das die Hoheit über die Signalisation der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf überkommunalen Strassen ausschliesslich dem Kanton zuspricht und das hinter der „Mobilitätsinitiative“ steht, angenommen. Die beiden Städte Winterthur und Zürich ergriffen das Behördenreferendum und unterlagen nun deutlich in der Abstimmung. – Das Ende einer selbstbestimmten Planung mit Tempo 30 als Instrument für mehr Lebensqualität, Lärmschutz, Sicherheit, Klimaschutz, Öffentlichen Raum. Die Städte wurden überwältigend vom Umland überstimmt. Antistadtreflex? Entmachtung der Städte? Ausbremsen der linken Stadtregierungen? Entfremdung? Mangelndes Verständnis? Oder einfach Egoismus?
Die Bevölkerung rund um die zwei Städte hat „mit der Stirn an der Windschutzscheibe“ abgestimmt und damit die Hauptstrassen weiterhin als reine Mobilitätsleistungserbringer festgeschrieben. Anwohnende, Lärmreduktion, Lebensqualität interessierten nicht. Bei mir zuhause „auf dem Land“ will ich es ruhig, in der Stadt will ich schnell vorankommen. Vergessen geht dabei, dass in unseren Städten und Dörfern an allen Strassen Menschen leben. „Ich bin der Meinung dass nicht nur privilegierte Menschen das Recht auf Ruhe haben.“, so Anders Stokholm, der ehemalige Präsident des Städteverbands. Gegen alles bessere Wissen will auch der Bund per Verordnung die Einführung von Tempo 30 schweizweit erschweren. Der Städteverband hatte im November einen Offenen Brief „gegen eine Einschränkung der Gemeindeautonomie bei der Anordnung von verkehrlichen Massnahmen“ an Bundesrat Albert Rösti geschrieben, den über 600 Personen aus Gemeinde-Exekutiven unterzeichnet hatten – schweizweit, über alle Parteigrenzen hinweg, einschliesslich SVP-Mitgliedern. Ja, wir müssen miteinander statt gegeneinander für unseren Lebensraum kämpfen. Strassen sind öffentliche Räume. Und öffentliche Räume sind das Rückgrat unseres sozialen Zusammenlebens. Überall in der Schweiz. Ohne Stadt-Land-Graben.
Gerade jetzt in der Vorweihnachtszeit ist der öffentliche Raum noch mehr als sonst unter Druck: Es ist einerseits die Zeit der festlich beleuchtenden Dörfer und Städte, aber auch des stark erhöhten Autoverkehrs bis spät nach Geschäftsschluss und des überbordenden Kommerzes im öffentlichen Raum. In Zürich war gerade zu lesen, dass die Perversion des weihnachtlichen öffentlichen Raumes noch gesteigert wird: das „Wienachtsdorf“, das momentan das 10. Jahr den Sechseläutenplatz vollständig besetzt, wird im Advent 2026 von einem monströsen begehbaren Adventskranz mit vier Kerzen mit Bar abgelöst. Kommerz, nun auch übersteigert dreidimensional, statt Begegnung im öffentlichen Raum.
Definitiv kein Weihnachtsmärchen.
Ich wünsche schöne Festtage und alles Gute fürs neue Jahr.
Gundula Zach
OpenSquare
