Velo-Vorzugsrouten?
Liebe Freundinnen und Freunde von OpenSquare
Im Individualverkehr gilt noch heute oft das Recht des Stärkeren. Stärker ist, wer länger, breiter, schwerer aber auch wer schneller ist. Um dieses Recht des Stärkeren in Grenzen zu halten, wurden in den letzten hundert Jahren unzählige Verkehrsregeln formuliert, Strassenkategorien bestimmt, ein Wald von Verkehrstafeln im öffentlichen Raum aufgestellt und Strassen mit unzähligen Zeichen bemalt. In den Städten und Dörfern wurde dem Auto immer mehr Platz eingeräumt, während die Kinder auf Spielplätze und Fussgänger auf Trottoirs, Fussgängerstreifen und Unterführungen verbannt wurden. Der Veloverkehr wurde weitestgehend vernachlässigt, er musste sich am Autoverkehr orientieren. Als dann nach dem Autobahnbau der 1960er und 70er Jahre die Pendlerströme wuchsen und der Autoverkehr in Städten zu kollabieren drohte, wurde in den 1980er und 1990er Jahren das S-Bahnnetz in der ganzen Schweiz massiv ausgebaut und wird noch heute jährlich perfektioniert.
Nun war die Zeit gekommen, den Autoverkehr in den Städten zu drosseln und die Quartierstrassen zu beruhigen. Strassenschwellen wurden gebaut und Hindernisse in die Strassen gestellt, auch Tempo 30 wurde eingeführt. Das sah zwar selten gut aus und hat die Strassen kaum attraktiver gemacht, aber die Quartierstrassen durchaus beruhigt. Die parkierten Autos allerdings sind geblieben und mit ihnen die Parkplatzsuchenden, sie verstellen noch heute den Strassenraum.
Um den «ungestörten Fahrfluss» zu garantieren, werden nun diese beruhigten Quartierstrassen für «Velovorzugsrouten» missbraucht: «Denn die Quartierstrassen bieten», so die Stadt Zürich in ihren Informationen, «die besten Voraussetzungen für eine Velovorzugsroute und erlauben allen Velofahrenden ein sicheres und einfaches Vorwärtskommen.» Vortrittsberechtigt!
Und wo bleiben die Quartierbewohner? Ja, Quartiersstrassen sind auch für die siedlungsorientierte Verkehrserschliessung da. Sie sind aber vor allem auch
Begegnungs- und Aufenthaltsort für die Bewohner und Bewohnerinnen. Sie müssen von Schulkindern wie auch von gebrechlichen Personen ohne Begleitung sicher überquert werden können. Selbstverständlich sind alle Velofahrenden auf Quartierstrassen willkommen, aber wenn sie nur vorzugsberechtig von A nach B fahren wollen, dann sind sie da kaum richtig.
Ich finde, die Velovorzugsrouten gehören nicht auf Quartierstrassen sondern auf die städtischen Hauptverkehrsachsen. Für den regionalen Verkehr sind diese zuständig. Um auf den Hauptverkehrsachsen für die Velos mehr Platz zu schaffen, müsste aber der innerstädtische Autoverkehr weiter reduziert werden. Das ist möglich: funktionierende Beispiele für weitgehend autofreie Innenstädte gibt es. Das wäre eine attraktivere Lösung für Fahrrad-Priorität als die Entwertung des öffentlichen Raums in den Quartieren.
Herzliche Grüsse
Thomas Schregenberger
OpenSquare
